Es ist, liebe Philosophen und Soziologen, einfach mangelnde Kompetenz in ökonomischen Fragen, die es der Linken unmöglich macht, sich mit dem neoliberalen System ernsthaft auseinanderzusetzen und Alternativen aufzuzeigen, die nicht in «Systemüberwindung» enden. Systemüberwindung ist ja geradezu die Flucht vor dieser ernsthaften Auseinandersetzung. Wer nichts über ökonomische Zusammenhänge in einer Marktwirtschaft (oder im «Kapitalismus», ganz wie es beliebt) weiss, tendiert dazu, sich jeder Auseinandersetzung dadurch zu entziehen, dass er vorgibt, das System ohnehin überwinden zu wollen, so dass sich eine Diskussion über konkrete ökonomische Fragen im falschen System des Kapitalismus erübrigt.
In Griechenland hatten Tsipras und seine Syriza keineswegs die Überwindung des Systems im Sinn, als sich die Regierung gegen die Troika stellte und die Bevölkerung aufforderte, es ihr nachzutun. Sie wollten eine andere, eine vernünftige Wirtschaftspolitik und kritisierten die Austeritätspolitik à la Schäuble. Aber ihr fehlten Personen, die in den Gremien in Brüssel und anderswo den Neoliberalismus wenigstens intellektuell hätten herausfordern können, von Macht- und Strategiefragen ganz zu schweigen. Yanis Varoufakis hat inzwischen viele Male Gelegenheit gehabt, zu zeigen, dass er diese Person hätte sein können. Gelungen ist ihm das aber nicht.
So bleibt es dabei: Nichts ist alternativlos, weder der Kapitalismus als solcher noch seine neoliberale Variante. Wer politisch agiert, sollte sich jedoch bemühen, genau zu sein. Die Masse der Menschen mit Systemüberwindung vor den Kopf zu stossen, ist gefährlich, wenn man eigentlich nur die Überwindung des Neoliberalismus anstrebt. Ich fürchte, bei vielen, die leichtfertig über den Kapitalismus reden, fehlt es einfach an Wissen über die enorme Flexibilität eines Systems, das man sowohl Kapitalismus wie auch Marktwirtschaft nennen kann.“ (H. Flassbeck in Infosperber vom 24.7.19)